In diesem Artikel versuche ich die Fragen für mich selber zu beantworten und möchte meine Gedanken mit Ihnen teilen. Warum bzw. was bewegt die Gemeindemitglieder, sich zur Wahl in die Gemeindevertretung einer jüdischen Gemeinde in Deutschland zu stellen. Die nachfolgend beschriebene Situation könnte nur in Deutschland sein und gilt nicht für andere Länder.
Seit über mehr als fünfzehn Jahren werden mir immer wieder die gleichen Fragen gestellt:
- welche Vorteile bringt es, „Abgeordneter“ in der jüdischen Gemeinde zu sein?
- warum gibt es so einen erbitterten Kampf um diese Sitze?
- wie wahr sind die Behauptungen der Kandidatinnen und Kandidaten, dass alle ihre Aktivitäten in den Gemeinderäten völlig uneigennützig und ausschließlich aus „Liebe“ zum Judentum und sowie der Sorge um die Zukunft der jüdischen Gemeinden in Deutschland motiviert sind?
- gibt es eine finanzielle Komponente? Bekommt man Geld dafür?
Auf alle oben genannten Fragen gibt es keine eindeutige Antwort für mich. Wie wir alle wissen, sind alle Menschen unterschiedlich und haben völlig unterschiedliche Beweggründe. Wie es in Köln gesagt wird: Jede Jeck is anders…
Zum besseren Verständnis und zur Vereinfachung der Analyse der Beweggründe eines Kandidaten, schlage ich vor, die Motive der Kandidatinnen und Kandidaten in mehrere Kategorien zu unterteilen und zu versuchen, diese in Interessengruppen zu erläutern.
Ich möchte im Voraus darauf hinweisen, dass meine Einteilung in Gruppen sehr subjektiv ist, da die meisten Kandidatinnen und Kandidaten durch mehr als eines der folgenden Motive angetrieben werden.
Weh dem Haus, in welchem jeder regieren will!
Moshe ben Gershom Chefetz
1 – Die Idealisten
Die erste und wahrscheinlich kleinste Gruppe besteht aus Idealisten. Die Vertreter dieser Gruppe sind auf die eine oder andere Weise mit der jüdischen Gemeinschaft verbunden. Sie verfügen in der Regel über Kenntnisse der jüdischen Geschichte und Traditionen. Sie haben das Selbstvertrauen, dass sie die jüdische Gemeinde positiv verändern können. Doch meist erwartet sie eine große Enttäuschung, da der Rest der „Abgeordneten“ die Welt ganz anders sehen und nicht „denselben Weg“ bestreiten wollen. Die Idealisten geben meistens auf oder versuchen, sich anzupassen, um minimale Ergebnisse zu erzielen.
2 – „Langzeitarbeitslosen“
Diese ist ebenfalls eine kleine Gruppe, wenn nur es sich um große jüdische Gemeinde in Deutschland handelt und eine eher große Gruppe ist, wenn wir von kleinen jüdischen Gemeinden sprechen. Diese Gruppe besteht ausschließlich aus den Einwanderern der ehemaligen Sowjetunion.
Ihre „stolzen Vertreter“ fühlen sich recht wohl, wenn sie von Sozialhilfe leben, obwohl sie in relativ jungen Jahren (30+) nach Deutschland kamen. Die „gemeinnützige, ehrenamtliche“ Tätigkeit dient ihnen als eine Art Schutzschild vor der Bundesagentur für Arbeit. Leider gibt es in Deutschland die so genannte „positive Diskriminierung“. Für viele Mitarbeiter des Arbeitsamtes ist es einfacher, bei einem „Berufsjude“ ein Auge zuzudrücken, als zu versuchen, ihn zur Arbeitssuche zu bewegen.
Das ist genau der Grund, warum die jüdische Identität bei den Empfängern von Sozialleistungen so unerwartet erwacht. Darüber hinaus ist das unter Punkt 8 (sehe unten) genannte Motiv von größter Bedeutung in dieser Gruppe.
3 – Unterstützung bei der Arbeitsvermittlung, Schaffung von Arbeitsplätzen
Dieser Personenkreis ist in großen Gemeinden nicht häufig vertreten. Aber die Aussicht auf einen Arbeitsplatz für den Kandidaten selbst und/oder für seine Angehörigen, insbesondere seine Kinder (auch als Stipendium) , ein guter Grund ist, sich zur Wahl zu stellen.
4 – Vermeintliche Rentner
In Gemeinden jeder Größe kann diese Kategorie von Abgeordneten ziemlich zahlreich sein. Die Tatsache, dass Menschen im Ruhestand bereit sind, ihr Wissen und ihre Erfahrung weiterzugeben, ist wunderbar. Die Realität sieht jedoch so aus, dass die meisten, die über Jahrzehnte Abgeordnete sind, zum letzten Atemzug um einen Sitz im Gemeinderat kämpfen. Ein schreiendes Beispiel für den Kampf um die „ehrenamtliche Ämter“:
„Wegen Unlauteres Verhalten der amtierenden Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München Charlotte Knobloch (Geboren 1932!) und „Team Knobloch21“, hat die Wahlkommission der Gemeinde die Wahlen abgesagt und verschoben.“
5 – Materielle Anreize
Die Teilnahme an gemeinnützigen Aktivitäten (ehrenamtliche Tätigkeit) wird nicht honoriert, aber in Deutschland existiert die sogenannte „Aufwandsentschädigung“. Ich kann aber nicht mit absoluter Sicherheit behaupten, dass diese Praxis in keiner jüdischen Gemeinde in Deutschland gelebt wird.
Die Ratsmitglieder der jüdischen Gemeinden vertreten die jüdische Gemeinschaft in verschiedenen Organisationen (z. B. Öffentlich-rechtliche Sender/Rundfunkräte), wo die Mitglieder Anspruch auf Aufwandsentschädigung (und sogar Sitzungsgeld) bis zu 1000 € monatlich haben. Dieser fünfte Punkt sollte eher als die Ausnahme als die Regel betrachtet werden. Aber solche Prämie ist sicherlich sehr angenehm, vor allem, wenn man seit Jahren dabei ist und die Entschädigungssumme nicht gespendet werden muss.
Vergessen auch nicht, dass die jüdischen Gemeinden keiner Kontrolle unterlegen. Der Vorstand der Gemeinde kann über das Budget der Gemeinde absolut frei entscheiden.
6 – Wurden gebeten mitzumachen, stille Mitläufer
Sei lieber der Schweif des Löwen als das Haupt der Füchse.
Babylonischer Talmud, Awot. 4.20
Die Vertreter dieser Gruppe stehen dem jüdischen Leben zumeist völlig gleichgültig gegenüber. Ihr Wahlprogramm besteht oft nur aus leeren Phrasen oder nicht eingehaltenen Versprechen. Sie kandidieren in der Regel als Teil eines Wahlblocks. Die Aufgabe dieser Gruppe ist sehr einfach – mit ihrer Stimme immer denjenigen zu unterstützen, der sie um die Teilnahme an den Wahlen gebeten hat. Zum Beispiel, indem man einem Freund hilft, in den Gemeindevorstand gewählt zu werden.
Die Mitglieder dieser Gruppe haben meins keine Ambitionen, in den Gemeinschaftsvorstand gewählt zu werden, und bleiben immer in der Gemeindevertretung. Diese Gruppe stellt die „schweigende Mehrheit“ dar und ist wie jede „schweigende Mehrheit“ ein absoluter Schaden für die Gemeinde.
7 – Politische und sonstige Kontakte, Karriere, Schutz
Die Mitglieder dieser Gruppe sind die erfolgreichsten im Hinblick auf ihre berufliche Laufbahn. Für diese Gruppe ist die Teilnahme am jüdischen „politischen Leben“ eine Gelegenheit, Politiker und Regierungsbeamte auf verschiedenen Ebenen zu begegnen und persönlich kennenzulernen. Wie Sie sich vorstellen können, können sich solche Kontakte positiv auf die Lösung persönlicher Probleme und die Förderung persönlicher Projekte auswirken.
Wir sollten auch nicht vergessen, dass verschiedene ehrenamtliche Aktivisten, insbesondere jüdische, „in Ruhe gelassen werden“.
8 – Eitelkeit und illusorische Macht
An dieser Stelle kommen wir zum wichtigsten Punkt – Eitelkeit
Wie der Protagonist des Films „Im Auftrag des Teufels“ sagte: – „Eitelkeit – eindeutig meine Lieblingssünde„. Es ist die Eitelkeit, die die Abgeordneten dazu bewegt, nicht „koschere“ Methoden im Wettbewerb, um die Sitze in der Gemeindevertretung anzuwenden. Um einen Platz in den Vorstand (in einigen Gemeinden Präsidium genannt) wird besonders hart gekämpft, denn wie wir alle wissen, ist der Intraspezifische Kampf der härteste.
Für mich persönlich ist diese Personengruppe am schwersten zu verstehen. Von der Führung der jüdischen Gemeinden hängt in der Tat wenig ab. Die meisten Mitglieder der jüdischen Gemeinden gehören ihr nur formell an (ein anschauliches Beispiel – JGD) und sind am Gemeindenleben interessiert. Eine Wahlbeteiligung (Wahlergebnisse 2017, 2020, 2021) von nicht mehr als 20 % macht dies deutlich.
Die Existenz der jüdischen Gemeinden selbst ist vollständig von externen, staatlichen Subventionen abhängig (sehe mein Artikel: Über den Staat und seine Hofjuden).
Fazit
Selbstverständlich erhebt mein Artikel nicht den Anspruch, die ultimative Wahrheit zu sein. Ich bin mir sicher, dass die LeserInnen selbst in der Lage sind, die „Puzzles“ zu einem Bild zusammen zu setzen. Bitte, berücksichtigen Sie, dass es eine Vielzahl von Kombinationen gibt.